es weht kein Tuch

Leider verkommt ein Industriedenkmal nach dem anderen in Görlitz und die Sanierungsmaßnahmen konzentrieren sich in großen Teilen auf die historische Altstadt. Somit wird die frühe Industriegeschichte in dieser Stadt mit Füßen getreten. Und so soll es nun auch großer Teile der Tuchfabrik auf dem Nikolaigraben / der Rothenburger Straße treffen. Noch hat vom Nikolaizwinger einen wunderbaren Blick auf die Anlage mit ihrem mächtigen Schornstein auf dem sich mittlerweile Tauben eingenistet haben. So entstand Ende Juni eine Aufnahme von diesem Motiv. Ein Anblick, der wohl bald verschwunden und nur noch auf Bildern zu sehen sein wird. Meine Wut darüber ist nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz deutlich schwarz auf weiß nachzulesen...

es weht kein Tuch, 2012


Sascha Röhricht


es weht kein Tuch


es wehen hier keine Tücher mehr
auch die Maschinen sind verstummt
und mit ihnen auch gleich die Arbeiter
und nur der Fluss weiß
wo sie geblieben sind…

und wo kein Tuch ist
da ist auch kein Schutz
vorm Abriss-Sturm
der hier kräftig weht
aber die Leute nicken
und sie frohlocken
dass auch dieses Werk
bald nicht mehr steht…

doch wer wir sind
und was wir waren
das vergeht mit jedem Stein
der alsbald fällt
aber hier in Görlitz
herrscht ein spröder Schein
der schulterzuckend meint
es ist wie es ist
und muss wohl so sein…

und diesen schleichenden Tod
betrachten die Tauben
vom steinernen Schlot
und in ihrem Gurren
klingt Unmut heraus
denn mit ihrer Übersicht
wissen sie schon längst
was hier kaum einer glaubt
das wenn man etwas stürzt
man auch etwas raubt
das unwiederbringlich
mit dem Winde verraucht…


2012

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